Was könnte mit Europa passieren, wenn das deutsche Wirtschaftsmodell, das nach dem Regimewechsel in Mittel- und Osteuropa entstanden ist, endgültig scheitert? fragte der amerikanische Geopolitikstratege Peter Zeihan in einem seiner Video-Podcasts. Diese Möglichkeit ist nicht nur an sich wichtig, sondern auch, weil sie sich direkt auf die Zukunft der ungarischen Wirtschaft auswirkt.
Drei Umstände machten Deutschland zuvor, aber insbesondere in den letzten drei Jahrzehnten zu einer der wirtschaftlichen Supermächte der Welt. Das erste ist eine starke Wertschöpfungswirtschaft, die auf hochqualifizierten Arbeitskräften aufgebaut wurde.
Das Problem dabei ist, dass die deutsche Gesellschaft rasant altert. Im Laufe des nächsten Jahrzehnts oder so wird die überwiegende Mehrheit dieser Arbeitskräfte in den Ruhestand gehen und die Wirtschaft wird den Schwung verlieren, der von ihrer Arbeit stammt. Dies wird nicht dadurch ersetzt, dass die jungen Menschen an ihre Stelle treten. Es gibt nicht genug davon.
Rentner beziehen ihre Rente und nehmen mehr als bisher Gesundheitsleistungen in Anspruch, anstatt mit ihren Einkommenssteuern und Umsatzsteuern auf ihre Einkäufe die Einnahmeseite des Staatshaushalts zu stärken. Diese entgangenen Einnahmen dienten dazu, den Betrieb der Back-End-Infrastruktur der Fertigungsindustrie zu unterstützen.
Insgesamt bröckeln die Grundlagen für das Funktionieren des deutschen Wirtschaftssystems.
Dazu trägt auch die Tatsache bei, dass die zweite Säule des Supermachtstatus der deutschen Wirtschaft zu Staub zerfallen ist. Es gingen nämlich die relativ günstigen russischen Energiequellen verloren. Dabei geht es nicht nur um die wegen des Krieges in der Ukraine verhängten Sanktionen, sondern auch um die Tatsache, dass die Deutschen maßgeblich zum Betrieb der russischen Energiewirtschaft am Förderort Sibirien beigetragen haben.
Nachdem diese kriegsbedingt aufgegeben wurden, gab es Berichte, dass die Russen Wartungsprobleme hatten. Obwohl diese abgelegenen Systeme vom Krieg nicht betroffen sind und die Russen weiterhin Öl und Gas fördern und verkaufen, würden sie dadurch Geld für die Wartung ihrer Systeme erhalten.
Wir wissen nicht, wann in Deutschland kritische Systeme ausfallen, aber es ist sicher, dass es passieren wird – so meint Zeihan.
Der dritte Faktor, der den Deutschen hilft, ist die Rolle der USA als Weltmacht. Die US-Armee, insbesondere die Marine, sorgt dafür, dass die Länder der Welt sicher miteinander Handel treiben können. Dafür gewährleisten sie beispielsweise die Sicherheit der allermeisten Schifffahrtsrouten.
Die Deutschen nutzten dies bereits vor 1990, hauptsächlich um ihre Produkte in die USA zu liefern. Vor diesem Hintergrund haben sie in der vergangenen Zeit ihren Handel mit China angekurbelt. Allerdings steht dieses Land aufgrund der Alterung seiner Bevölkerung auch vor großen Schwierigkeiten. Darüber hinaus konkurrieren der aktuelle US-Präsident Joe Biden und der ehemalige US-Präsident Donald Trump darum, wer von ihnen eine stärker protektionistische Wirtschaftspolitik gegenüber China verfolgt.
Dadurch ist das gesamte deutsche System in Gefahr laut Zeihan.
Zeihan macht sich keine Sorgen um Deutschland an sich, sondern weil die Deutschen im Zentrum eines europäischen multinationalen Fertigungsindustriesystems stehen. Die deutsche Wirtschaft ist dabei der wichtigste, aber bei weitem nicht der einzige Faktor.
Deutsche Technologie-, Ausbildungs-, Infrastruktur- und Fertigungslieferketten sind nicht auf Deutschland beschränkt. Belgien, Österreich, Polen, die Tschechische Republik, die Slowakei, Ungarn und Rumänien sind Teil dieses Systems. Es ist möglicherweise der zweitwichtigste Industriestandort in den Niederlanden und Dänemark.
Wenn also das deutsche System verfällt, wird das gesamte mitteleuropäische Produktionssystem in große Schwierigkeiten geraten, selbst wenn es den genannten Ländern demographisch gut geht – sie sind weit davon entfernt. Dies kann dann unvorhersehbare wirtschaftliche, politische und strategische Spillover-Effekte haben.